Edison: Briefe an Tesla // No.02 “Der Verlust von Fantasie bedeutet den Verlust von Zukunft”

Lieber Nikola,
Wie geht es Ihnen? Ich habe mich länger nicht gemeldet.

Die Entwicklungen in der Welt machen mir Sorgen.
Was ist nur mit den Menschen los? Sie haben Angst. Angst aber erstickt Neugier, Fantasie, Kreativität. Die Menschen haben Angst vor allem und jedem. Selbst – und besonders – anscheinend vor dem Wandel. Sie haben Angst, die Welt ändere sich zu schnell, dabei ändern die Menschen sich zu langsam. Sie bremsen. Sie wollen Sicherheit, Gewissheit, Geborgenheit. Statt aber Gemeinschaft und Gesellschaft zu leben, zerfleischen sie sich. Aus Unsicherheit, aus Angst vor dem Nächsten, aus Angst vor der Zukunft. Weil sie nicht wissen, wie es weitergeht.

Dabei geht es gar nicht darum, wie ich vor acht Jahren schrieb, zu wissen wie es weitergeht. Es geht nicht darum, die Zukunft der anderen und der Welt vorherzusehen. Es geht darum, die Zukunft, die man sich selbst wünscht, wahr werden zu lassen. Es geht darum, für seine individuelle Zukunft zu kämpfen. Es geht darum, sich auf die Welt einzulassen, seine Talente und Potentiale zu erkennen, seine Weichen zu stellen. Konstruktiv.

Es geht darum, sich mit Intellekt, Intuition und Imagination die ideale Zukunft auszumalen und seinen individuellen Teil zur Realisierung beizutragen. Gemeinschaftlich.

Es geht darum, sich aus seiner Kindheit Neugier, Wissensdurst und Phantasie zu bewahren, diese ständig weiterzuentwickeln und schließlich zur Kreation von Zukunft zu nutzen. Wenn wir erwachsen sind, nennen wir dies Beginner’s Mind, die Vermeidung des Tunnelblicks, die Bewahrung der Adler-Perspektive. Die Bewahrung des Überblicks. Nicht den totalen Orientierungsverlust, den ich gerade dort unten beobachte.

Es geht darum, eben nicht mit den Bildern, Mustern, Modellen und Angeboten zufrieden zu sein, die einem ständig offeriert werden, meist aber Alter Wein in neuen Schläuchen sind.
Es geht darum, den Tellerrand, diesen von Politik und Wirtschaft gebotenen Horizont hinter sich zu lassen, Neuland zu betreten, das Unbekannte zu erkunden, das Ungedachte zu denken, die eigene Phantasie die Grenze sein zu lassen.
Tesla, das wissen Sie besser als ich. Ihr Denken kannte keine Grenzen. Da haben Sie jedem etwas voraus.

Es geht darum, unvernünftig im Sinne des Establishments zu sein, unvernünftig im Sinne des Status Quo, unvernünftig im Sinne der an uns gestellten Erwartungen all derer, die wollen, dass wir bloß funktionieren.

Sie, lieber Nikola, haben in mir immer das Establishment gesehen. Sie selbst kämpften machtvoll mit ihrem Engagement dagegen an. Zu recht!

Vernunft, Ratio, materielle Gier haben uns hierhin gebracht, sie sind keine Lösung. Lösen können wir unsere Probleme nur, wenn wir beginnen, anders zu denken. Wenn wir uns nicht von unserer Ratio bremsen und begrenzen lassen.

Es gibt keine Markteintrittsbarrieren mehr, alles ist möglich. Jeder kann heute ein Produkt produzieren, ein Unternehmen gründen, ein NGO zum Leben erwecken.

Es mag seltsam klingen, dies von mir zu hören, aber es sind fantastische Zeiten – wenn wir sie denn nutzen, und dazu kann ich nur aufrufen, Tesla!

Im Machbarkeitssinne sind uns weniger Grenzen denn je gesetzt. Heute sind die Grenzen in unseren Köpfen. Wir sind am Ende unserer Fantasie angelangt – und damit auch am Ende unserer Zukunft. Wir wiederholen die Vergangenheit, statt die Zukunft zu schaffen. Wir leben in unserer glorreichen Erinnerung, statt unsere Fantasie – und Zukunft – zum Leben zu erwecken. Gemeinsam.

Ihr
Thomas A Edison

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